flügel:schlagen
Fotos von Bettina Frenzel
 
Im Foyer des Wiener Kosmostheaters hängen Fotoserien, in denen Bettina Frenzel den menschlichen Körper als zentrales Objekt in den Mittelpunkt ihres Interesses stellt. Hier wird der Körper in Bewegung erfaßt, es wird der Versuch unternommen, einen Körper-Raum zu definieren, Körperteile werden im Detail erforscht und durch eigenwillige Kompositionen und Linienführungen in andere Denk-Räume gestellt.
Den konzentrierten Blick auf den menschlichen Körper zeigt eine Serie aus "microscopic view" (einer Zusammenarbeit mit der Choreografin, Tänzerin und Biotechnologin Doris Stelzer). Diese Bilder sind erstmals in größerem Format zu sehen.

Initiierend für die Ausstellung war die Zusammenarbeit mit Evelyn Fuchs, der Regisseurin des im Theatersaal gleichzeitig stattfindenden Heiner-Müller-Stückes. Dementsprechend finden sich unter den ausgestellten Bildern auch ganz aktuelle Theateraufnahmen aus dem Stück, ein Versuch, die dort dargestellten Frauenfiguren auch visuell zu begreifen und dem Text weitere nachhallende Bilder hinzuzufügen. Ein Einblick in den Arbeitsalltag der Fotografin Bettina Frenzel.

Ebenfalls in der Zeit der Auseinandersetzung mit dem Thema des Stückes sind neue Bewegungsstudien entstanden: die Serie "kopf:los" ist eine Arbeit mithilfe von Langzeit- und Mehrfachbelichtungen, eine der digital fotografierten Serien. Als Bildunterschrift fällt in diesem Zusammenhang die Bezeichnung "digitales Negativ " auf. Sie soll darauf hindeuten, daß der Schwerpunkt der wahrgenommenen fotografischen Gestaltungsmöglickeiten nach wie vor beim Fotografieren liegt, digitale Bildbearbeitung im Sinne von "digital imaging and composing" findet hier wenig statt. Einzig bei der Serie "flügel:schlagen", einer Mixtur aus analogen Stückfotos und digitalen Szenenfotos, wurde die digitale Serie am Computer ins Negativ verkehrt, das Wort "digitales Negativ" also ganz konkret umgesetzt.

Auffallend ist auch das verwendete Material: Die Fotos wurden auf Leinwandstoff ausgedruckt und auf Holzkeilrahmen aufgespannt. Dadurch überlagert sich die Struktur des Leinenstoffes mit dem Korn des Filmes bzw. dem Pixel des digitalen Negativs, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Bei den Sujets aus der Serie "Turbulenzen. Fotos wider die Erstarrung" soll es der Versuch einer weiteren Annäherung an die Malerei sein. Bei zwei Selbstportraits, denen eine eher aufwändige Technik des Polaroid-Transfers zugrunde liegt, bricht es die glatte Oberfläche der eingesetzten Goldfolie. Allen so präsentierten Bildern ist zumindest gemein, daß sie durch die Tiefe des Rahmens und den Verzicht auf absperrendes (und spiegelndes) Glas mehr Objekt als Foto zu sein scheinen, was durchaus beabsichtigt ist.
 
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flügel:schlagen
Theatraler Heiner-Müller-Parcours
für vier Schauspielerinnen und eine Butohtänzerin

Textcollage: Evelyn Fuchs (nach Texten von Heiner Müller)
Regie: Evelyn Fuchs
Ausstattung: Andrea Hölzl
Mit: Beate Göbel, Elisabeth Prohaska, Ingeborg Schwab, Susi Stach, Natascha Wöss

Faszinierend, gewaltig und tragisch sind die Frauenfiguren in Heiner Müllers Dramen.

Medea (Medeamaterial)
Ophelia (Die Hamletmaschine)
Erste Liebe (Der Auftrag)
Merteuil (Quartett)

Vier Schauspielerinnen und eine Butohtänzerin bemächtigen sich lustvoll der Sprach-Gewalt Heiner Müllers und verschmelzen Ohnmacht und Selbstermächtigung zu einer energiegeladenen Theaterperformance.

 
Termin
Premiere: Mi, 19.04., 20:30 Uhr | Mi-Sa, bis inkl. 06.05., 20:30 Uhr
Preis
EUR 15,- | ermäßigt EUR 13,- | Ö1-Card EUR 13,50 :: Reservierungen: Tel. 01 / 523 12 26 oder online


aus
Der Standard, 24.4.2006

Frauenschicksal auf dem Mythenlaufsteg
Das Kosmostheater punktet mit Müller und sieht einer ungewissen Zukunft entgegen

Wien - Die Textblöcke Heiner Müllers liegen großteils unbenutzt in der Theaterlandschaft herum. Gut zehn Jahre nach dem Krebstod des Dichters werden sie mehr bestaunt denn furchtlos erklommen: Wer sich in dieses Massiv hineinbegibt, begegnet allenthalben der mythischen Sphinx: Wie hältst du es, Wanderer, mit der Kennzeichnung des Schreckens als Kollateralfolge des Geschlechterkriegs?

Im Wiener Kosmos ereignet sich etwas für kaum mehr möglich Gehaltenes: Eine blitzgescheite Regisseurin (Evelyn Fuchs) stellt vier Frauenfiguren aus Müllers spätem Dramenwerk in offene Vitrinen. Sie kopiert sie als naturkundliche Frauenpräparate aus dem Klassikerfundus und bannt sie auf eine Ladefläche aus gepresstem Sperrmüll, einen Verwünschungslaufsteg, überzogen mit Filz (Ausstattung: Andrea Hölzl).

Die feministisch inspirierte Collage "flügel:schlagen" zitiert eine serielle Spielanordnung mit den Damen Ophelia, Medea, Merteuil (aus "Quartett") sowie dem Intimitätsgespenst "Erste Liebe" (aus "Der Auftrag"). Gemein ist diesen Frauen, dass sie die Dramaordnung , wie die Alten es kannten, hinter sich gelassen haben. Sie erleiden im Raum eines geschichtlichen "Danach" die Martern der Untreue, des Wassertodes, der erotischen Ranküne: Aufziehpuppen eines von Müller genüsslich gegen sich selbst zelebrierten Ressentiments.

Ihre großteils austauschbaren Schicksale hat Fuchs neu durcheinander gemischt. Man möchte Elisabeth Prohaska als Kittelschürzen-Medea an einem mit Vliesfetzen verklebten Küchenherd gerne die Deklamationspalme zuerkennen - die aasige Merteuil (Susi Stach) im Gynäkologiestuhl loben, aus deren Walkürengestalt Brunstkatarrhe herausbrechen. Ein wunderbar wahnwitziger kleiner Abend.

Nach wie vor unverstanden fühlt sich Kosmos-Theaterinhaberin Barbara Klein vom Kulturamt: Das zuletzt kolportierte Angebot der Gemeinde, die Mittelbühne mit einer Subventionsanhebung von 120.000 Euro zu bedenken (gegenwärtig 363.000), um dafür eine Neuausschreibung (2008) zu erwirken, dürfte an eine stadtgenehme Neubesetzung des Vereins gebunden sein. Klein sträubt sich: "Von Ultimaten lasse ich mich nicht beeindrucken!"