Liebe und sehr geehrte Anwesende, auf stilleführung Gespannte,

die Fotografin Bettina Frenzel zeigt uns in ihrer Ausstellung namens stilleführung eine Auswahl ihrer Tanz- und Theaterfotos der letzten 14 Jahre.

Privat? Oder Professionell? Ich muss zum Glück nicht wählen, wie die Eröffnung jetzt begonnen werden könnte, oder sollte, oder wollte. Denn die Fotografin Bettina Frenzel ist meine sehr gute Freundin, und die Freundschaft, die ist aus einem beruflichen Zusammentreffen heraus entstanden. Dieses professionelle Zusammentreffen wiederum war erst einmal überhaupt gar kein persönliches, vielmehr traf ich ein Foto auf dem Schreibtisch eines gemeinsamen Auftraggebers, und ich dachte, dass ich da jetzt sehe, was ich mir im Prinzip von einem Foto eigentlich erwarte.

Die Erwartungen an die Fotos, mit denen ich in meiner Arbeit als Grafikerin zu tun haben wollte und will, konnte und kann ich nie exakt formulieren (und ich hoffe, dass das auch anderen nicht gelingt, weil das ja hieße, Geheimnisräume neonhell zu reden, pfui!). Ich konnte und kann immer nur versuchen, meine Erwartungen beschreibend einzukreisen, dann passiert Fotografieren, da kommt dieses Nachhinein, das Foto, heraus und man kann nur noch hingehen und nachschauen, ob darauf der unbeschreibliche Geheimnisraum im Zentrum der Bedeutung sichtbar geworden ist oder nicht.

Auf diesem einen Foto, da auf dem Schreibtisch unseres gemeinsamen Auftraggebers, war der geheime Raum für mich sichtbar. Es war überhaupt kein spektakuläres Foto. Vor allem dann nicht, wenn man in Betracht zieht, dass unser Auftraggeber ein Atelier für japanischen Kulturaustausch betrieb und meinem Büro die Gestaltung und Produktion von drei Festivalkatalogen überließ, die eine Fülle japanischer Kulturproduktionen von teilweise atemberaubender Ästhetik präsentierten. Die meisten dieser Performances hat Bettina Frenzel fotografiert. Die Fotoarbeiten, die im Rahmen der Japonale, so der Name des Festivals, das in den Jahren 1994 bis 1996 dreimal stattfand, entstanden sind, markieren die Anfänge der Tanz- und Theaterfotografin Bettina Frenzel. Ein wahrlich markanter Auftakt, auch hier in der Ausstellung, ein Foto aus dem Stück "I was born out of earth“ des Choreografen und Tänzers Min Tanaka, das 1995 im Rahmen der Japonale im Odeon aufgeführt wurde, hängt unübersehbar auf der Stiege.

Seit Japonale-Tagen arbeiten wir zusammen, und es sind viele schöne Fotos entstanden. Aber für mich bleibt diese eine, sehr stille Porträtaufnahme das Foto, das mir den inneren Geheimnisraum der Person Frenzel eröffnet hat, noch bevor ich sie getroffen habe.

Dass wir beide Zugereiste sind, haben wir bald entdeckt, beide im selben Jahr, als Kinder, in Österreich angekommen, Bettina Frenzel als damals Deutsche, in Belgien Geborene, heute Österreicherin, die nie in Deutschland gelebt hat, aber oft in Deutschland ist, weil die Eltern, die heute abend hier sind, und die viele Verwandtschaft übers ganze Deutschland verstreut leben, von den Schwestern wieder abgesehen, die auch in Wien leben … das Zwischen-den-Welten-sein jedenfalls ist ein Empfinden, das sich recht gut teilen lässt.

Ich fasse das jetzt mal zusammen: Die Sache ist die, dass es der Person Frenzel gelingt, den Menschen und dem Geschehen rund um sie Aufmerksamkeit und Wertschätzung auf eine Weise entgegenzubringen, dass dabei Begegnungsräume und Geheimnisräume so offen bleiben, dass sich alles ganz von selbst entwickelt.

Professionell? Oder Privat? Dass Sie, liebe auf die Ausstellung Gespannte, jetzt nicht mehr unterscheiden wollen und können, ob hier vom Fotos-machen oder vom Befreundet-sein die Rede ist, das hoffe ich doch sehr.

Nun wieder zur Fotografie, dewegen sind wir ja alle gekommen: Die Schau namens stilleführung, die heute eröffnet wird, zeigt Fotoarbeiten des Genres „Tanz und Theater“, das zweifellos Bettina Frenzels fotografisches Lebensthema darstellt. stilleführung ist – nach Ausstellungen und Projekten wie „flügel:schlagen“ (in 2006), „microscopic view“ (in 2005), „turbulenzen“ (in 2004), oder „gegenbewegung“ im Jahr 2000, um nur einige anzuführen – ihre aktuellste Position in einer ständigen Auseinandersetzung damit, was Fotografie als Ausdrucksform im Zusammenhang mit den Ausdrucksformen Tanz und Theater ausmachen und leisten könnte und sollte.

Die Intensität ihrer Fotoarbeiten setzt sich aber auch im nicht gerade reizarmen öffentlichen Raum durch, vor allem bleiben sie im Gedächtnis, etwa die Visualisierung der „Hallamasch“-Festivals der Kulturen zwischen 1998 und 2001, oder, Ihnen allen in Erinnerung, das Plakatmotiv 2007 für „impulstanz“, eines der größten Tanzfestivals in Europa, das hier unten an der Bar hängt.

Bettina Frenzels fotografischer Zugang hat wenig gemeinsam mit der Vermutung, das Darstellen mit fotografischen Mitteln ergäbe ein konkretes Abbild des Dargestellten. Das ist eine Vorstellung von fotografischem Tun, die ja denkbar und legitim ist. Die Fotografin aber führt ihr Publikum mit ihren Arbeiten aus dem Blickwinkel einer Darstellenden und Zuschauenden zugleich mitten in das Dargestellte hinein.

Die Fotoarbeiten entstehen während der Theaterproben, jetzt oder nie, kairos, der rechte Augenblick. Stilleführung ist fotografische Methode, also Technik im besten Sinn, mit der Distanz und Nähe, Taucherglocke und Schmetterlingshaut, zugleich möglich sind. In einer Phase, in der die Theaterproduktion noch Work in Progress ist, spürt die Fotografin all dem nach, was in einer Bewegung, in einer Szene, dann auf dem Foto als lautlosem Medium die Schwingungen in den Betrachtenden auslösen und dem Theater damit eine zusätzliche Darstellungsdimension eröffnen wird.

Es ist dieses Sich-der-Situation-überlassen und sie kontrollieren, anwesend sein, gar nicht da sein, sehen, ahnen, vertrauen, und wissen, dass es keine Wiederholung gibt, das die Theaterfotografie so spannend macht. Und Bettina Frenzel stellt sich erst recht nicht auf die sichere Seite ihres Genres.

Die Präsentationsprinzipien für die ab heute bis zum Sommer (genau gesagt bis 28. Juni) hier im Kosmos Theater gezeigten Fotoarbeiten haben sich in Gesprächen über das Fotografieren, über die Empfindungen und die Absichten dabei, von selbst ergeben. Aus sieben thematischen Blickwinkeln entsteht der Gesamteindruck dessen, was die Arbeitsweise und die künstlerische Haltung der Fotografin ausmacht.

Stilleführung leitet Sie, verehrte Gespannte, als lautloses Metathema durch die gesamte Ausstellung, den stillen Prinzipien, die ich Ihnen jetzt noch näherbringen möchte, begegnen Sie dabei immer wieder.


Das stille Prinzip: riskieren

Wenn auf der Bühne die Bilder so dicht werden, dass die ganze Wahrheit drüber liegt über dem, was im Moment gerade sichtbar ist, ist es an der Zeit, sich übers Langzeitbelichten, der Methode, die dem Instinkt die größte Leistung zumutet, und die die Fotografin als Malen mit Licht und Farbe empfindet, ins Theaterstück hineinzulassen. Die Freude am Risiko liegt dann darin, ein Original eines Moments zu erzielen, der sich in Wirklichkeit so gar nicht abspielt.


Das stille Prinzip: loslassen

Dunkelheit auf der Bühne als schönste Herausforderung, Mystik, weil sie das Licht entdecken hilft, und zeigt, dass Fotografie auch Weglassen-können ist, dass sich Stimmungen über bewusste Reduktion von „Erleuchtung-um-jeden-Preis“ so präzise fassen lassen, dass es eine Freude ist, fotografisch nicht einzugreifen, sondern loslassen und aufnehmen zu können.


Das stille Prinzip: konzentrieren

Heranzoomen ist Mitten-hineinsteigen, damit die Essenz der Theaterarbeit, der Inszenierung, sich festhalten lässt, in einem Moment hoher Konzentration, der der Moment des wahren Ausdrucks ist, es gibt keinen vergleichbaren, keinen davor und keinen danach.


Das stille Prinzip: umdenken

Es hat schon was Verwegenes, den Blick auf eine Stelle auf der Bühne zu steuern und dorthin scharf, so scharf zu stellen, wo grad scheinbar(!) am wenigsten passiert und ausgerechnet dort eine ungeahnte Tiefe und Dimension aufzuspüren. Umdenken, das ist kühnes Umwidmen von Bildinhalten, das ist das Unscharf-machen von Vordergründigem, damit es den Rahmen für das In-Szene-setzen des Hintergründigen abgibt.


Das stille Prinzip: entdecken

Den Blickwinkel finden, den die Zuschauenden gar nicht wahrnehmen, weil sie nun mal sitzen, wo sie sitzen. Die Perspektive, die den Moment am spannendsten macht und das Besondere darin entdecken, das sind Gestaltungs- und Erweiterungsmöglichkeiten, die die Fotografin mit dem Heben eines Schatzes vergleicht.


Das stille Prinzip: distanzieren

Es darf ja schon auch die Rede davon sein, dass die meisten fotografischen Aufgaben zwar Liebe sind, manche aber eher Profession, die mit der Einsicht entstehen, dass bestimmte Motive auch noch gebraucht werden. Zum Beispiel werden Gesamtaufnahmen gebraucht, und da wird manchmal der Kontakt zum Geschehen auf der Bühne, der für die Fotografin zuvor so intensiv war, vorübergehend schwächer, aber auch da ist Versöhnungspotenzial, etwa wenn die ganze Bühne bespielt wird.


Das stille Prinzip: präzisieren

Ins Fotostudio wird verlegt, was während der Theaterproben nicht erzielbar ist, etwa die Arbeit am einzelnen fotografischen Moment, die eine andere Wahrheit präzisiert, die kühler wirkt, weil sie genauer ist. Die Studioarbeit ist davon bestimmt, das Geschehen vor der Kamera zu lenken, hier ist die Fotografin Regisseurin und Gestalterin jener Motive, die die visuelle Präsentation des Theaterstücks gut ergänzen, weil Studioatmosphäre auch Atmosphäre ist, die sich gestalten lässt.

Soviel zu den stillen fotografischen Prinzipien
des Riskierens …
des Loslassens …
des Konzentrierens …
des Umdenkens …
des Entdeckens …
des Distanzierens …
des Präzisierens …
die zusammen ein Metaprinzip namens stilleführung bilden.

Mehr als die Hälfte der hier gezeigten Arbeiten sind im Kosmos Theater entstanden, für das Bettina Frenzel alle Eigenproduktionen fotografiert. Mit dem Theater zusammengebracht wurde sie vor zwei Jahren von der Regisseurin Evelyn Fuchs im Rahmen ihrer Inszenierung „flügel:schlagen“, zu der im Haus die gleichnamige Fotoausstellung gezeigt wurde.

Weils grad gut passt, gleich auch die Ankündigung, dass die Regisseurin Evelyn Fuchs am Kosmos Theater in einer Woche, das ist dann der vierte März, mit ihrem Stück „Kraft einer Hölle“ wieder eine Premiere hat.

Weils auch grad gut passt, und mich Bettina hat wissen lassen, dass Barbara Klein und Beate Schneider, erstere die Chefin des Hauses, zweitere die Chefin der Öffentlichkeitsarbeit des Hauses, für sie sehr wichtige Menschen sind, die ihr das freie fotografische Atmen ermöglichen, und falls ich das erwähnen will, kann ichs ja machen … also sag ichs, Bettina, in deinem Namen.

Persönliches auch im Musikalischen der heutigen Eröffnung, das eigentlich eine Weltpremiere ist, denn die Formation „Troica“ rund um die rumänische Sängerin Claudia Cervenka, die mit zwei großartigen Liedern den Austrian World music award im Dezember 2007 gewonnen hat, bestreitet den musikalischen Teil des Abends mit einer Reihe weiterer Lieder, die vor uns Gespannten hier sicher noch kein menschliches Ohr bislang vernommen hat Mit dabei sind der Kontrabassist Camillo Fernandez und der Schlagzeuger Uli Soyka, und dieser Schlagzeuger, der ist der Lebensmensch der Fotografin.

Und jetzt gehen Sie bitte schauen, schauen Sie sich die Fotos an, und fragen Sie die Künstlerin unbedingt bitte alles, was Sie unbedingt wissen möchten.

Was ich Ihnen aber noch ausrichten soll, ist, dass Sie die Bilder selbstverständlich nicht bloß anschauen, sondern auch kaufen können, und dass Biografie, Preisliste und eine Übersicht über die stillen Prinzipien an der Garderobe für Sie zur Entnahme bereit liegen.

Danke für Ihr Aufmerksam-sein, und haben Sie einen wunderschönen Abend.

©Bettina Gaertner